Harley Davidson Softail Slim Tiefenbefreiung Erster – Fahrtest

Eine Harley kauft man, weil man eine Harley haben will – nicht weil es auf dem Markt nicht bessere, schnellere oder komfortablere Motorräder gäbe. Diesem Motto folgend befreie ich Körper und Geist von Vorurteilen und fahre heute den American Way of Live.

Mattschwarz wenige Chromtupfern an den richtigen Stellen so steht sie tief sonor aus ihrem klappengesteuerten Auspuff blubbernd vor mir, während ich mich zur Testfahrt fertig mache. Und auch wenn Slim auf deutsch schlank bedeutet ist diese Harley alles andere als das. Nein vielmehr ist sie ein maskuliner 321kg schwerer Bobber, bestück mit dem 45°, 103B Twin Cam Motor. Dessen Ausgleichswelle hält die Vibrationen im Zaum und drückt mit 1670ccm, 79PS und 133Nm ordentlich Gummi auf die Straße. Die Silhouette der Maschine macht einen auf den ersten Blick glauben, dass es sich hierbei um einen alten Starrrahmen handelt. Erst bei näherem hinsehen entdeckt man die in der Vorspannung einstellbaren Federbeine gut versteckt unterm Getriebe. Vorne arbeitet indes eine nicht einstellbare 41er Telegabel die gekapselt ausgeführt worden ist. Ihr schmuckes schwarzes Schild reflektiert, ebenso wie der große, in schwarze Scheinwerfer die Sonne. Ein weiterer glänzender Hingucker ist etwas tiefer am Krad zu finden, die verchromten Speichen der ansonsten schwarz gehaltenen Felgen. Speichenfelgen mit den typisch dicken Reifen, hier in den Dimensionen vorne 130/90H16 und hinten 140/85H16, sind ein bis heute typisches Erkennungsmerkmal dieser in den 1940er und 1950er Jahren erstmals erschienen Motorradspezies. Da diese Welle in Amerika ihren Ursprung hatte, waren die als Bob Jobs bezeichneten Umbauten meist Harleys und Indians. Ziel war schon damals Gewicht zu reduzieren, um auf dem Dragstrip schnell zu sein und dazu noch gut auszusehen.

Hat man einmal Platz genommen sitzt es sich auf dem bequemen, nostalgisch anmutenden Singlesitz in 65cm Höhe sehr angenehm. Die Füße finden schnell einen sicheren Stand auf den tief montierten Trittbrettern. Bobbertypisch bleibt die Sozia heute zu Hause, oder fährt mit der Fat Boy hinterher, denn ein zweiter Sitz oder gar hintere Fußrasten fehlen. Bei einer möglichen Zuladung von 181kg, wäre es jedoch kein Problem den Bobber umzubauen und zu zweit durch die Gegend zu cruisen. Aber nun genug der reinen Theorie, mittlerweile sollte das Öl warm und an jeder Stelle des Motors angekommen sein. Spätestens jetzt beim ziehen der seilzugbetätigten Kupplung macht das Machobike seinem Namen alle Ehre, denn hier ist Handkraft gefragt. Umso mehr da der Kupplungshebel nicht einstellbar ist und weit vorne steht. Es ist also nicht gerade von Vorteil, wenn man wie ich kurze Finger hat. Gespiegelt auf die andere Seite des montierten Hollywood Lenkers gilt beim Bremshebel das Gleiche. Auch er steht weit vorne und wirkt beim ziehen hart und indirekt. Durch den Stadtverkehr geht die Fahrt im 2., 3., maximal 4. Gang, wobei sich das Getriebe per Schaltwippe steht’s sauber aber deutlich hörbar schalten lässt. Vorbei an den Schaufenstern fällt mir die coole und entspannte Sitzposition auf, die man auf der Maschine hat. Noch zwei Ampeln dann hab ich es endlich geschafft. Der Trubel wird weniger und das Ortsschild verschwindet im Rückspiegel. Eine freie Landstrasse liegt vor mir. Zeit die Gashand, am recht wackelig montierten E-Gasgriff mal etwas mehr aufzuspannen und dem V2 unter der Mittagssonne die Sporen zu geben. Dass das bei diesem Flacheisen nur eine bedingt gute Idee ist, zeigt sich schon kurze Zeit später im ersten Kurvengeläuf. Die Federwege sind mit vorne 130mm und hinten 86mm natürlich bauartbedingt nicht besonders üppig, wie man sich vorstellen kann. Trotzdem macht das Fahrwerk einen straffen Eindruck und schickt nur wenige Schläge an den Fahrer durch. Länge läuft bekanntlich und davon hat die Softail genug. Ihre Achillesferse sind ihre Trittbretter, denn die liegen tief, ja man könnte sagen einfach viel zu tief und setzten ‚Hilfe’ schreiend bei jeder noch so schön außen angefahrenen Kurve auf. Da wird ordentlich Material abgetragen, auch wenn sich die Gashand mittlerweile wieder entspannt hat. Ja diese Dinger sind wirklich bequem zum abstellen der Füße, können einem aber während der Tour schon ordentlich die Linie und innere Ruhe verhageln. Sei’s drum, beim Bremsen in der Kurve gibt es wenig zu meckern, die Fuhre bleibt stabil und zeigt nur wenig Aufstellmoment. Und wer gut beschleunigt, der sollte selbstverständlich auch gut bremsen können. Bei dieser Harley sind dafür jeweils eine Bremsscheibe am Vorder- und eine am Hinterrad, kombiniert mit einem gut arbeitenden ABS montiert. Für das favorisierte Cruisen reicht das aus und passt natürlich zum Gedanken der Gewichtsreduzierung eines Bobbers. Eine zweite Scheibe am Vorderrad, würde der Optik aber nicht schaden und die Bremsleistung sicherlich bei den bewegten Massen verbessern. Gerade auch dann wenn es mal nicht nur gerade aus, sondern in die Berge geht. Gemütliches dahingleiten ist ihr Medie, den Klang und Druck des Motors von unten heraus genießen und den amerikanischen Spirit fühlen. In diesem Modus kann man außerdem ordentlich Kilometer machen, denn der 19 Liter fassende Tank ist für gut und gerne 300km Reichweite gut. Der Verbrauch pendelte sich bei dieser Fahrweise bei um die 5-5,5 Liter ein.

Bei diesem Tempo lässt sich die Natur rechts und links neben der Strasse richtig genießen. Man hat Zeit auf Kleinigkeiten wie z.B. die Reflektionen der Wolken und Sonne am Himmel im glänzenden, Scheinwerfergehäuse vor mir zu achten. In der Cat Eye Konsole, so nennt Harley das auf dem Tank montierte Singleinstrument, dessen Annmutung eine Hommage an eine längst vergangene Zeit darstellt spiegelt sich das ganze ebenfalls. Hier dreht zum Glück noch ein echter Zeiger seine Runden im Gehäuse. Der Tacho ist selbst bei der jetzt hoch stehenden Sonne gut ablesbar. Erst auf den zweiten Blick fallen seine vielfältigen Funktionen, in Form von Kontrolllämpchen, oder im kleinen digitalen Display auf. Dieses wird über einen Taster von der linken Lenkeramatur aus gesteuert. Es bietet unter Anderem: 2 Tripzähler, die Uhrzeit, einen Drehzahlmesser gekoppelt mit einer Ganganzeige, die Restreichweite, sowie natürlich die Gesamtkilometer an. Zusammen mit den auf der Konsole und im Tachofeld verteilten Kontrollleuchten ergibt sich eine sehr gute Übersicht, über die Lebensäußerungen der Maschine. Da Nostalgie bei diesem Modell eine große Rolle spielt, hat man zusätzlich zur kleinen Zapfsäule im Tacho eine zweite analoge Tankanzeige, in der linken Tankdeckelatrappe installiert. Apropos Tankdeckel, dieser ist leider nur gegen Aufpreis abschließbar. Auffallend charmant dagegen und eben harleytypisch schwarz gehalten fallen die gut funktionierenden Drucktaster der Lenkeramaturen auf. Als BMW Fahrer habe ich mich sowieso schnell an die Fortschrittsblinkerbetätigung (Schalter links für den linken Blinker und Schalter rechts für rechten Blinker) gewöhnt, da es bei meiner R1200R auch so funktionier. Schön das Harley seinem Stil treu bleibt und daran festhält. BMW hat das System ja aus Kostengründen vor ein paar Jahren gegen eine meist labberische Standardausführung getauscht. Weiteres nettes Feature der Harley dabei ist, dass die Blinker sich nach dem Abbiegevorgang selbstständig wieder abschalten. Lichttechnisch geht Harley mit der Slim am Heck den modernen LED Weg, während an der Front gewöhnliche Birnen gut ihren Dienst tun. Wem das trotzdem nicht reicht dem bietet der Zubehörmarkt, aber auch Harley selbst alternative LED Lösungen an. Der Testtag neigt sich langsam seinem Ende zu und die letzten Kurven ziehen vorbei. Wie also fällt nun das Fazit aus?

Für mich ist die Softail Slim wertig und gut verarbeitet. Sie hat im positiven Sinn gesprochen einen rustikalen Touch von amerikanischem Maschinenbau, mit netten Überraschungen. Wer sonst hat noch einen altgedienten Schmiernippel für eine Fettpresse am Steuerrohr um die Lager schmieren zu können? Möchte man trotzdem etwas meckern, so könnte man das beim wackeligen Griff des E-Gases, dem auf den ersten Blick ebenfalls wackeligen und nicht gerade vertrauenserweckenden Seitenständer und den recht offen, im Spritzwasser des Vorderrades liegenden Bauteilen des Advance Breaking System und ihrer Steckverbindung tun. Und ja die Trittbretter, die liegen einfach zu tief. Aber auch hier hat der Aftermarket mittlerweile eine Höherlegung im Sortiment, welche mehr Kurvenfreiheit schafft.

Starten kann man mit dem von mir gefahrenen Modell ab 19765 Euro. Für den der mehr will gibt es natürlich in Form der Softail Slim S von allem noch einmal mehr. Bedeutet 1801ccm, 110B Screaming Eagle Motor mit 92 PS und 145 Nm Drehmoment. Mehr Ausstattung wie z.B. einen Tempomat und eine überaus schicke Armylackierung mit Stern auf dem Tank. Der Preis hierfür liegt um 1100 Euro über der von mir gefahrenen Standard Variante, bei 20865 Euro. Das Bankkonto sollte also üppig gedeckt sein, denn es gibt für Geld noch viele schicke zusätzliche Teile für die Maschine und den Fahrer zu kaufen. Ob einem die Schwester S bei den gebotenen Eckdaten den höheren Preis wert ist, muss jeder selber entscheiden. Ich für meinen Teil würde es wahrscheinlich alleine schon wegen der Lackierung und wegen dem stärkeren Motor investieren. Beiden gemein sind die tiefen Trittbretter 🙂

images_Archiv_Fahrberichte_HD_Harley-Davidson-Softail-Slim-Modell-2016_Front-Harley-Davidson-Softail-Slim-2016

Schöne Grüsse Torsten Thimm #LifeisaRide

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